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| "Geld oder Leben" - Senat in ArbeitDie Idee ist spontan da gewesen, nur noch nicht ausformuliert, eigentlich seitdem die Absetzung des Projekts „ be Berlin, be together „ mit der beschriebenen Rücksichtslosigkeit und Unehrlichkeit über die Senatsbühne gegangen ist. Dazu kam die Beobachtung der selbst-verständlichen Ausbeutung tausender anderer Künstler seit Jahren… Es ist die Entscheidung, mich unbeliebt zu machen.Die Protzerei und Unnahbarkeit dieser Gilde pauschal in einem Bild zusammenfassen, das war meine Vorstellung. Ein besseres, als das religiöse Berufsbild gab es für mich nicht. Bis zum 2. 6. Ist Jim da. Mein Enkelkind. Wir klappern die Bilderbücher ab und die Spielplätze in Berlin Moabit. Zugegeben, einen Tag lang, oder einen halben Tag waren wir auch auf dem Multi- Kulti- Fest bei Kreuzberg. Sogar mit den Hunden. Eigentlich wollte ich Jim keinem Tumult aussetzen. Zuhause war mir aufgefallen, dass er es oft lieber hatte, nur so vor sich hin zu spielen und mich gelegentlich einzubeziehen. Auf dem Fest hat er sich dann als Pirat schminken lassen; den passenden Hut hatte er schon auf. Kaum war die Kletterei auf dem Piratenboot unter lauter Großen überstanden, fing das Gewitter auch schon an. Was für ein Wolkenbruch ! Solche Zusammenhänge prägen sich ein. Vielleicht werde ich später an diesen einen besonderen Jim-Tag denken. Später, später. - Nachdem Jim von seiner Mama abgeholt worden ist, stürze ich mich in die Vorbereitungen zur Performance. Viel später darf es nicht werden, wenn ich noch was bewegen will. Ich gehe als Bischof. Auf die goldene Mitra schreibe ich vorn “ Geld “ und hinten: “oder Leben”. Auf den Rücken meines gold-grünen Gewandes nähe ich die Worte: SENAT in ARBEIT. Das dauert. Ich will nichts verhunzen, also bringe ich mich dazu, die geistige Hetze hinter mir zu lassen. Die Zeitungen und das Fernsehen zu informieren ist eine zusätzliche Tat, die Zeit verlangt. |
Die Maus ist kaputt und die geklaute Internet- Anbindung setzt aus, wann sie will.
Nachdem ich es mir vorgenommen habe, bringe ich sämtliche Vorbereitungen in Ruhe zu Ende. Ja ja, ich beschrifte auch die drei faden Flickenteppiche. Der erste bekommt das Wort “ knallrot “ aufgesprüht, der zweite “ feuerrot” und der dritte “ blutrot “ Mit roter Farbe natürlich
Ich hänge meine Kamera um , steige auf´ s Fahrrad und trampele los. So ein leichtes Packwerk hatte ich noch nie. Innerlich vibriere ich, gespannt darauf, ob ich mein Anliegen vermitteln kann: “ Liebe Leute, seht hin, es ist der Senat, es sind die Bürokraten schlechthin, die sich nur um sich selber drehen. Unnötig, zu ergänzen, dass jeder Bittsteller Opfer dieser Konstellation wird.” - Auf dem Pariser Platz ist es bereits belebt. Es ist der erste Tag, ein Donnertag Nachmittag, an dem ich die ersten Entfaltungen meiner Rolle für einen Versuch erkläre. Zuerst geschieht gar nichts. Man scheint mich seltsames Wesen nicht einmal zu bemerken. Noch krasser: Wer mich wahrnimmt, sieht schnell weg, dreht sich um, bewegt sich in andere Richtung weiter. Mein Publikums- Seismograph funktioniert.
Trotzdem erfülle ich m ein Programm, trage den letzten der drei Teppiche unermüdlich und werfe ihn, setze, stülpe ihn vor den ersten, nach bewährtem COOP.WALK- Muster. Natürlich, ich erzeuge Befremden, Aber dazu will man sich keine Zeit nehmen. Um mich herum mehrere Stasi Verkleidungen. Versteinerte Grenzsoldaten als Erinnerung an die Situation vorm Mauerfall. Touristen strömen darauf zu, lassen sich mit den Attrappen fotografieren.
Manche auch mit dem Berliner Bären eingehakt oder umarmt, ganz nach der Leidenschaft des jeweiligen Akteurs Hier dürfen sie sich selbst am Nabel der Zeit inszenieren, die Touristen. Ich sehe es ja ein. Dagegen kann ich nur Aufklärung in die Wagschale werfen. Kein Wunder, dass ich kaum ankomme.
Bei den Stasi- Gestalten komme ich an. “ Woher bist du, ich habe dich hier noch nie gesehen.” “ Von der Straße, wie du. “ “ Ich bin aber Schauspieler. “ “ Gut. Und du verdienst Geld. “ Für jedes Foto hüpfen regelmäßig ein, zwei Euro in die Kasse. Ich selbst bin nicht auf Einnahmen abgerichtet. “ Aber ich kann schauspielern. “ “ Dann tu´s auch, oder komm mal her zu mir… “ Ich bin aber nicht zu dem denkmalsgeschminkten Soldaten gekommen, sondern quäle mich stattdessen mit dem Weiterverlegen der Teppiche, bis mir die Arme schmerzen, vor allem der rechte. Endlich nähert sich der Berliner Bär. Ein Stimmchen strömt aus. “ Du musst das anders machen. Ganz anders. So wirst du nie ein Publikum bekommen. “ Du hast es heiß da drin, stimmt´s ? Und langweilig. “ “ Na ja, sagt der Bär.
“ Aber ich verdiene Geld. “ Gut, ich nicht. Das muss ich ihm nicht sagen, er sieht es auch so.
Weiter hinten, bei der neuesten Touristengruppe interessiert man sich wenigstens dafür, die Buchstaben auf den Teppichen zu entziffern. Und ich erkläre, was das bedeuten soll.
Nein, das “ Senat in Arbeit “ auf dem Rücken haben sie nicht gesehen. Zuviel Mühe wahrscheinlich. Hier geht es doch für genau zehn Minuten oder höchstens zwanzig um das Brandenburger Tor und um die dazu passenden Gefühle. Also was ? Die Toruristentante der schwedischen Gruppe sagt “ One man demonstration” in meine Richtung There are at least four of them every day.. Ich gehe vorbei, ohne die Dame mit der Fliegenklatsche zu erledigen. Ich habe einfach keine dabei. Weiter hinten noch eine Touristenwolke. Diesmal junge Leute, sogar Deutsche. Daneben ein Schwarm Dänen, auch irgendwie von weit weg.
Man kann sie nicht von den Spaniern unterscheiden, die auch kaum eines Wortes mächtig sind, solange sie schauen und schauen lassen, über die Fotolinse hinweg. Es gibt keine Unterschiede von Gruppe zu Gruppe. Oder doch: Die jungen Deutschen sind besonders müde und die Alten hören besonders intensiv auf ihre Führer, wahrscheinlich, weil sie nicht mehr so gut hören. Das Gucken scheint allgemein, aber vielleicht, wenn man sie fragte, die Touristen, ob jung oder alt, wie ihnen denn der Eiffelturm gefiele, dieses monumentale Ding, das sie da vor sich haben, dann sagten sie: Gut. Sogar sehr gut. Und das Gefühl, das sie dabei erlebten, sei weit erhabener, als sie es erwartet hätten. Na ja, Eiffelturm oder Brandenburger Tor, der Unterschied liegt wohl nur in der Höhe, sage ich. Sie haben immer ein ähnliches Gefühl erwartet, wie sie es jetzt erleben. Ich höre Wortkapseln, Wahrnehmungs-hülsen, Gemeinschaftsbrocken, in allem das angestrengte Bemühen, den Brandenburger Tor Orgasmus zu erleben. Am liebsten per Foto. Und zwar sofort.
Ich kämpfe weiter mit meinen Teppichen. Die Mitra über den Augen verrutscht öfter. Ich schwitze. “ Senat in Arbeit, “ sage ich jetzt. “ Immer mit sich selbst beschäftigt. Leider keine Zeit für die Menschen.. “ Gelegentlich übersetze ich ins Englische. Der eine oder andere hat hingeguckt. Manche hatten sogar ihren Spaß, allein durch meinen Anblick. Waren nicht auch ein paar Zivilisten dabei ? Ich meine, Leute ohne besonderen Städtebeschau-Ausweis ?
Nach ein paar Teppichschlepp-Stunden fühle ich mich kaputt, ausgepowert. Womöglich auch frustriert ? Abends gestehe ich mir genau das ein und nehme mir vor, am nächsten Tag für monumentale Aufmerksamkeit zu sorgen. Abends treffe ich auch noch Inge, die Frau von der Naturkosmetik Sie überschreit mich, wie immer. Noch so ein Muster. Ich merke genau, dass ich das nicht mehr ertrage, setze noch ein paar E-mails an gewisse Senatoren in die Kiste, bevor ich endlich zu mir komme. Ins Bett.
Am nächsten Tag, Freitag, ist das Wetter annehmbar, eine gute Voraussetzung. Diesmal beeile ich mich, aber nicht zu sehr, um alles dabei zu haben. Ich bin kribbelig, will, dass man meine Botschaft versteht. Auf dem Pariser Platz empfängt man mich wie eine Bekannte. Die Pferdekutscher, Taxifahrer. Eine Denkmalsgestalt, diesmal in Form einer überdimensionalen Töpfermaske auf egal welchem Körper, setzt sich zwischendurch kostümlos neben mich auf eine Bank und redet auf ´s Lebhafteste mit einer Familienfigur ins Nichts hinein. Mit Grausen starre ich vorbei und wieder hin zu dem echten, falschen, auch ohne Maske entstellten Menschengesicht. Ich bewege mich weg, so schnell ich kann. Eigentlich bemerke ich erst jetzt, beim Schreiben, die Maske dieses Menschen in der Maske. Nichts zu helfen.
Ich fliehe in mein eigenes Kostüm. Fange vorsichtig an, wende mich an die Menschen. “ Wollen Sie mal den Senat in Arbeit sehen ? “ Mehrfach bekomme ich ein reflexartiges “Nein. “ zu hören und finde zu meinem Vergnügen zurück. “ Kann ich verstehen ! “ Dieses diebische Vergnügen an der Erfindung über die alltägliche Routine hinaus. Eine Gruppe von jungen Kichermädchen. Ich provoziere, flüstere sie auf entstellte Weise an. “ Be happy, be happy, be smily, be usable, or there is no place for you.. Ja, ich falle je nach Art der Begegnungen aus meiner Rolle als reine Senatsfigur heraus, sortiere mich zu einer außergesellschaftlichen Provokateurin. Nachher begreife ich, dass ich an diesem Tag nur das Heraustreten aus mir selbst geübt habe. Auch das Wahrnehmen der besonderen Menschen um mich herum. Ein virtuoses Spiel: .,. Ich erkenne schon von weitem die Menschen, die auf Anhieb verstehen werden : Die Mitra, die Aufschrift und das monoton selbstgefällige Getue mit den protzig anspielungsreichen, roten Teppichen. Jeder soll sich seinen eigenen Reim draus machen. Ich werde jetzt öfter gefragt und habe nichts dagegen. Was denn die Aufschrift der Teppiche soll und mein Kostüm, dazu die stelzigen Bewegungen…Bewegungen, die ich immer ausladender kommen lasse. . Die meisten Menschen wollen lieber dran vorbei sehen, sobald sie das Wort “Geld” auf der Mitra erfassen. Gewissensbisse lassen mich und meinen Auftritt abprallen. Spaß wollen sie hier haben und keine Erinnerung daran, dass die Zeiten längst alles schlechter geworden sind, dass sie das Geld lieber zusammenhalten sollten.
Immer wieder treibt es mich zu vorwiegend orientierungslos herumhängenden jungen Leuten hin. Manche fragen mich auch nach meinen inzwischen protzig ausfahrenden Bewegungen und dem Kostüm. Dann zeige ich auf die Beschriftung. “ Ein bisschen könnt ihr auch selber denken, oder ? “ Und ich tobe gleich weiter: “ oder seid ihr es schon so gewohnt, euch das Denken im Multiple Choice- Format vormachen zu lassen ? Hey, ihr seid doch eures Gückes Schmiede und hängt da so rum ? So gleichgültig, so erschreckt? Ja soll man euch denn allesamt in den Arm nehmen ? So weite Arme hat niemand. Umarmt euch mal lieber selber, rüttelt euch , werdet wach und lasst euch nicht alles gefallen. Das Ja- Sagen gehört zum Leben dazu, aber auch das Nein- Sagen. Greift euch an den Haaren und zieht euch aus dem Sumpf, in den man euch gerissen hat. Ihr habt die Macht dazu…” Ich rede mich heiß, nicht nur einmal, gleich mehrere Male in junge Gesichter hinein. Nur ein einziges Mal treffe ich auf eine junge Stürmische, die genau weiß, was sie will. .. Eine dieser Gruppen sehe ich am Boden sitzen, als wären wir es selbst, damals, bei unserem Berlinbesuch in der Oberprima..
“Ihr Milch und Spuckegesichter, sage ich, habt ihr wirklich soviel Angst vorm Geld ?
Nehmt es in die Hand und schmeißt es zum Fenster raus, so, wie es die Popanze seit Jahren schon tun. Es muss da doch noch was anderes geben. Wisst ihr was, ihr seid gefragt mit eurem Ja und Nein. Nur nicht mit eurer Gleichgültigkeit…. “ Die jungen Leute wollen Näheres über meinen Prostest wissen. Und über meinen positiven Einsatz. Ich erzähle, sie staunen wie vor einem neuen Naturwunder. Einer von denen, die da am Boden sitzen greift mich plötzlich am Arm. “ Warten Sie mal, ich bin gleich wieder da.” Worauf sollte ich denn warten ? Unter der Maske sehe ich kaum etwas, die Augenschlitze verschieben sich immer wieder zur Stirn hin und seitwärts, sodass ich nur jeweils einseitig flach äugen kann. Ich bemerke nicht, dass sich ein Kamerarteam vor mir aufbaut. Vom ZDF erfahre ich später. “ Machen Sie nur weiter, gut so, ja bewegen Sie sich wie vorher “Später bekomme ich zu hören, eine Gruppe junger Leute war auf der Suche nach Vorbildern der Großstadt. Und da haben sie unter anderem mich gefunden. Schmeichelhaft, oder nicht,- wie ich am Abend die Maske abnehme und sehe mein Druckstellen- und farbverschmiertes Gesicht, denke ich, man hätte mir doch vorher warnen können. Nachmittags laxse ich mich zur anderen Seite vom Brandenburger Tor treiben.
Zu einer Veranstaltung von den Grünen, deren Wahlen vor der Tür stehen. Mitten in der Menge etwa zehn Meter vor der Rednerbühne breite ich meine Teppiche aus. Mir wird genau der Platz gemacht, den ich beanspruche. Seltsam, denke ich, soweit ich überhaupt noch denken kann in meiner Rage. Der Vormittag hat mich in Schwung gebracht. Jetzt platze ich los mit meinem Gebrüll , das sich mehr und mehr zu beißendem Spott über die aufrechten Plastik- und Dosenverwerfer hermacht. Ich muss mir keine Mühe geben. Strahlend poliert schreit es aus mir heraus: “Wie gut, dass es dieses Dosenproblem noch gibt, sonst hätten wir Grünen gar nichts Spezielles mehr zu sagen.” Sigmar Gabriel auf der Bühne. Er gibt den engagierten Politiker. Ist es womöglich auch. Feine Unterscheidungen gehören heute nicht zu meinem Repertoire. Wieder besaufe ich mich an meinem eigenen Sound und merke es nicht einmal.: “ Ich bin so grün. So grün, das kann ich mir wohl ein paar Atomkraftwerke leisten, oder ? “ Je schrecklicher ich keife und knurre, umso gebannter stehen die Menschen. Und wieder blicke ich ab und zu in ein hilfloses, bleiches Gesicht.
Der Redaktuer von der Taz winkt mir zu wie einer alten Bekannten. Pause machen, trinken, abdampfen, die Bleichgesichter vergessen, aber endlich hat mich eins, nimmt mich vor:
“Dann sagen Sie doch endlich, wie es richtig geht, das Beteiligtsein, der Protest, das Neuwerden, oder wie Sie es nennen.” Ich setze meine Maske ab. “So einfach geht es wirklich nicht. Da gibt es keine Rezepte. Manchmal sagt man ja und manchmal nein. Wann was dran ist, musst du schon selbst herausfinden. “ Eine reglos weiße Wand mir vor Augen. “ Sie haben ja vielleicht nicht mehr soviel zu suchen und zu finden, aber wir. Wir müssen doch in irgendeinen Rahmen passen, wenn wir einen Job wollen. Da kann man nicht mehr das Maul aufmachen, wie man will… “ Ich raschele mit der Verkleidung, suche nach der Trinkflasche.
Setze schnell die Maske wieder auf. “ Eine Runde drehe ich noch, dann bin ich weg. “
“Na, dann gut Wegsein ! “ Eine Musikgruppe hat sich gerade über den Papst als Kondomverweigerungsautomaten hergemacht und mich lauthals vermisst. Mit einem Ohr war ich dabei. Ganz gut, denke ich, dass wir nicht auch noch gemeinsam aufgetreten sind. Zu viele Programme verderben die Botschaft. Wieder spanne ich mein Zwerchfell, verrenke mich, so gut ich kann, aber ich bin nicht mehr drin. Nicht in der Wut, nicht im Spaß am Menschenfressen ! Leicht geduckt und hungrig und müde mache ich mich bald auf mein Fahrrad und nach Hause. Das abgedriftete “ Schimpf - den - Senat- boot schiebt ab in den rettenden Hafen.
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The Wall
Begegnung mit einer gleichaltrigen Frau am Bahnhof Bad Salzuflen. Sie schwärmt. "Fahren Sie nach Vahrenholz im Kalletal. Da haben Sie alles, was Sie brauchen. Wirklich. Was soll man so weit in die Welt ziehen. Wenn man etwas erleben will, bietet Vahrenholz zu jeder Zeit Abwechslung und Erholung genug." Dass ich hier gerade zu meiner Performance in Jerusalem aufbreche, behalte ich für mich.
Ich habe nur einen Rucksack bei mir mit klein gefalteter Ersatzkleidung. Ganz stolz über diese gelungene" Weniger-ist-mehr-Übung" breche ich auf .So fällt das Umsteigen nicht schwer. Meine 60- jährigen Knochen fühlen sich jetzt schon erleichtert. Ich bin noch längst noch nicht richtig unterwegs, hatte kaum etwas vorbereiten können, so sehr war ich vom ganz gewöhnlichen Lebenstrab vereinnahmt gewesen. Keine Zeit für ein Vorausplanen in einer anderen Währung oder Sprache. Ja ich hatte nicht einmal eine Unterkunft buchen können. Ich war fest davon überzeugt, im Österreichischen Hospiz würde ich schon etwas finden, auch wenn mir meine e-mails unbeantwortet geblieben waren. Zwischen lauter allein reisenden Leuten versuche ich, mich zu lösen, versuche, mich neu einzufinden.
Im Flughafen Langenhagen muss ich warten, warten. Als sollte das Warten meine Hauptbeschäftigung bleiben. Immerhin habe ich Zeit, meine Betäubung loszuwerden. Beim Einchecken bin ich ganz vorn dabei. Schließlich bin ich lange nicht mehr allein gereist, fühle mich etwas aus der Übung.
Man lässt mich Tasche und Rucksack als Handgepäck mit nehmen, was mir eine große Ehre bedeutet. Hatte ich nicht jahrelang darum gekämpft, mit weniger Gepäck auszukommen, meine vielen "Sicherheitsgurte" einfach wegzulassen.?
In der winzigen Maschine, die zunächst nach Prag fliegt, sehe ich mich noch einmal in der Halle des Flughafens Pudong auf dem Rückflug von Shanghai, sehe mich schieben und schleppen: vier Geigenkästen, zwei Matchsäcke, einen Riesenkoffer, drei Handtaschen, zwei Jacken, einen Umhang, zwei Kameras. Der Ärger mit dem Übergepäck und mit unbeteiligten Chinesen, die dir raten, deine Sachen einfach wegzuwerfen. Ich sehe mich rennen und schwitzen, damit ich den Flug doch noch bekomme, wegen meiner Verpflichtungen zuhause. Dann der Kampf um den verlorenen Koffer. Was für eine Hölle. - Von da an versuche ich, Lasten abzuwerfen.
| artisart-attackplastic-attack So heißt die Aktion, die Koppenbrink gegen Ende des Jahres 2008 auf die politische Bühne bringt. 3000 Plastikpuppen, von ihr selbst und vielen Bürgern mit gestaltet, sollen vorm Reichstag in Berlin auftreten. Hier wird der Spruch des Sonnenkönigs umgedeutet. "L´etat c est moi " wird zu " l´ état ce sommes nous" 3000 Puppen, getragen von dreitausend Menschen. Ein Symbol für die Teilhabe an der Welt. Hier trägt jeder Mensch gewissermaßen den Schatten seiner selbst als den Schatten der gesamten Menschheit vor. Die Puppe empfängt den Schutz seines Trägers, der sich mit all seiner Energie für ihr Wohbefinden einsetzt. Den Schutz vor Kliamakatastrophen, Kriegen und staatlich unternehmerischen Ausbeutungen.
Koppenbrink geht, ähnlich wie J. Beuys von einem erweiterten Kunstbegriff aus. Beuys, der das Bild der "sozialen Plastik" entworfen hat, war nicht nur an materiell fassbaren Artefakten interessiert. Er machte mit der Überzeugung ernst, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Auch Koppenbrink nimmt die künstlerische Fähigkeiten aller Menschen wahr. Im materiell Gestalterischen ebenso wie im gesellschaftlich-politisch-kulturellen Rahmen, " Es gilt nur, die Bequemlichkeit einer konsumgewohnten und einer nach wie vor obrigkeitshörigen Grundhaltung zu überwinden." |
| artisart-attackHermännchens Sternstunde Ein unerhörtes Ereignis: Am 06.07. gegen 6 Uhr früh wird dem Schwert des Arminius eine Taube aufgesetzt .KOPPENBRINKS Friedenstaube. Nachdem die Aktion dokumentiert worden ist, wird der Vogel aus Maschendraht sofort wieder entfernt. Man kann sagen: In einem Atemzug, hastig, ohne abzusetzen. In dem Wirbel verfängt sich die Kamera. Das Material ist nachher fast unbrauchbar.- Trotzdem geht die Tat ungehindert über die Bühne. Mit einer kleinen Schar von Freunden, zwei Spitzen- Kletterern, einem virtuosen Fotografen und dem “ technischen Begleitteam” überwindet KOPPENBRINK alle Barrieren, um ihre “paradoxe Intervention “ zu verwirklichen. Wie genau, will sie nicht durchblicken lassen. Es ist kaum zu glauben: Das Team kommt ohne polizeilichen Eingriff davon. Nach langen Verhandlungen musste ich leider davon Abstand nehmen, das Friedenssignal in Gemeinsamkeit mit dem LANDESVERBAND LIPPE zu inszenieren. Nun ist mir diese Aktion doch noch gelungen. Eine echte artisart- Attacke. Schade, dass man in der Provinz das Symbol für eine “Zukunft ohne Kriegsverherrlichung “nur als gefährliches Abenteuer umsetzen kann. Gern hätte ich der Region die Chance gegeben, an der Friedensidee auch im Bezug auf das Hermannsdenkmal mitzuarbeiten. Im Vorfeld habe ich mich auf die Zusagen von Klaus Stein verlassen. der mir zunächst über einen Mittelsmann eine Nacht und Nebel- Aktion hinter vorgehaltener Hand erlaubt hat. Aber nachher, als ich Ziel und Zweck der Installation auf Anraten des WDR veröffentlichen wollte, hat Stein mir dieselbe Aktion versagt. Unter Vorwänden. Mit dem inzwischen doktorlosen Herrn Kasper in Gemeinsamkeit. Man wollte mir weismachen, die Herren seien vielmehr an einer anderen meiner Aktionen interessiert. Die Region wolle sie mit mir als Künstlerin auf den Weg bringen. Mit dieser Lüge wollte man mich abfinden. |
Ich war allerdings darauf gefasst, dass auch diese Seifenblase platzen würde. Bürokratische Menschen sind nicht an Inhalten interessiert. Erst recht nicht in der Provinz, wo sie Tag und Nacht damit beschäftigt sind, unangreifbar dazustehen. Es geht ihnen ausschließlich um ihre Macht, das hatte man mir zur Genüge bewiesen. Vor allem sollte kein neues Licht auf das antiquierte Bild des heroischen “Urgermanen “ fallen. Friedensgedanken bei Kriegshelden sind nur schlecht zu bewerben.- Ein Witz, wenn man sich die als Verkaufsrenner gedachten Hermännchen - Gartenzwerge vor Augen hält. Die Spitze der Verdummung ist wohl, dass die hohen Herren die Friedenstaube dem gegenüber als “ kontraproduktiv “ bezeichnet haben.
So kleingeistig wollte ich die moderne Vision von einer weltoffenen Zukunft nicht untergehen lassen. Dank meiner Freunde konnte ich mein Projekt gegen den Widerstand der “hoffnungslos Rückständigen “ doch noch verwirklichen. Sicher gehört diese Tat zu meinem künstlerischen Vermächtnis.
Zum Schluss darf ich eins nicht verschweigen:
Die Turbulenzen beim Aufsetzen der Friedenstaube hatten einen Grund. Das Schwert ist nicht mehr ausreichend sicher verankert. Einen entsprechenden Hinweis hatte ich bereits von der Firma Begemann Mietlifte bekommen. Meine Voraussetzung: Der Kletterer wollte den Aufstieg mit seinem Freund nach einer neuen Methode vornehmen und hatte mir versichert, dass er bei der kleinsten Unsicherheit die Aktion abbrechen würde. So kam es dann auch. Allerdings erst, als die Taube den Gipfel ihrer Aufgabe erreicht hatte. Was für eine Überwindung für mich, diese Szene mit offenen Augen zu verfolgen.
Ich gebe zu: Der Schrecken steckt mir noch in den Knochen, sogar mehr als vorher. So ein Abenteuer werde ich mir nicht noch einmal vornehmen, das weiß ich genau.
Allein, wenn ich an die Verantwortung denke…
Im nachhinein wundert mich aber am meisten die Selbstverständlichkeit, mit der die Lippischen Beamten den Jubiläumsgästen die ungesicherte Umgebung des Hermannsdenkmals zumuten. Na ja, was der Bürger nicht weiß, macht ihn nicht heiß…..